Die Suchmaschine Google verlässt nun also China. Damit beraubt sie einige hundert Millionen Chinesen der Möglichkeit, eine alternative Suchmaschine neben der chinesischen Baidu.com zur Informationssuche zu nutzen. Auf seinem Unternehmensblog spricht Google allerdings nicht davon, dass es das Land verlässt, sondern die Zensur von google.cn stoppt: „So earlier today we stopped censoring our search services—Google Search, Google News, and Google Images—on Google.cn.” In Wirklichkeit wird nicht das Zensieren der Inhalte gestoppt, sondern die Suchmaschine Google in China abgeschaltet, denn es heißt weiter in dem Blog-Eintrag: „Users visiting Google.cn are now being redirected to Google.com.hk, where we are offering uncensored search in simplified Chinese, specifically designed for users in mainland China and delivered via our servers in Hong Kong.” Und schließlich gipfelt das Ganze auch noch in einer Hoffnung: „We very much hope that the Chinese government respects our decision, though we are well aware that it could at any time block access to our services.” Kaum zu glauben, dass Google in China auf derart naive Weise ein Ende nehmen würde, denn selbstverständlich wird die Hongkonger Version von Google bei der erstbesten Gelegenheit blockiert werden.

Die Bedingungen zu denen Google in China eingestiegen war, waren von vorne herein klar: Spätestens seit dem „Public Pledge on Self-Discipline for the Internet Industry in China“, der bereits im März 2002 in der „Großen Halle des Volkes“ in Beijing von über 100 Internet-Unternehmen (unter anderem Yahoo) unterzeichnet wurde, waren alle Anbieter von Inhalten zur Selbstzensur verpflichtet. In der Tat ist die aktive Zensur durch das Löschen bestehender Inhalte nur ein Teil der landesweiten Zensurpolitik. Viel wichtiger ist die Selbstzensur, der sich jeder, der in China eine Website betreibt oder aktiv das Internet nutzt, unterwerfen muss. Das offiziell propagierte Ziel der chinesischen Regierung ist das Betreiben eines „gesunden“ Internets, welches frei von Kriminalität, Glücksspiel, Pornographie, usw. ist und die Reputation einzelner schützt. Nur die wenigsten Chinesen widersprechen, wenn propagiert wird, dass zum Erreichen dieser Ziele eben eine staatliche Kontrolle des Internets notwendig ist.

Tatsächlich ist die chinesische Regierung gar nicht gegen die Entwicklung des Internets. Im Gegenteil: Sie betreibt bereits seit den frühen 90er Jahren, als diverse „Goldenen Projekte“ zum Ausbau der Infrastruktur und initiale Internetdienstleistungen gestartet worden waren, einen sehr aktiven Ausbau der Datenautobahn. Ziel war es immer, vor allem die kommerzielle Nutzung des Internets durch E-Commerce im ganzen Land zu ermöglichen und auf diese Weise zum Beispiel auch kleinen und mittleren chinesischen Unternehmen im Landesinneren beim Handel mit ausländischen Unternehmen zu unterstützen. Darüber hinaus nutzen die Zentral- wie auch die Provinz- und Stadtregierungen das Internet ausgiebig für eigene Propaganda und Nachrichten, wie gerade wieder die ausführliche Berichterstattung über den jährlich stattfindenden „Nationalen Volkskongress“ in Beijing gezeigt hat.

Allerdings beobachtet und kontrolliert China Nachrichten und selbst erstellte Inhalte in Form von Blogs und Kommentaren extrem kritisch. Doch hier entwickelt sich immer mehr eine sehr kreative, sich stetig wandelnde Internet-Sprachkultur, durch die die Zensur – zumindest vorübergehend – umgangen werden kann. Überhaupt sind diejenigen Chinesen, die sich kritisch äußern es gewohnt, zwischen den Zeilen zu lesen – und entsprechend zu schreiben. Selbstverständlich rechtfertigt dies keine Zensur, allerdings ist umgekehrt die Zensur nicht notwendigerweise ein Grund dafür, das Land zu verlassen. Veränderung fand in China immer wieder durch eine Gegenpolitik von unten als Antwort auf die Politik von oben statt. Hierzu fehlt nun ein wichtiger Baustein nach dem Weggang von Google aus China.

Google gegen China, das war der Kampf zweier Alpha-Tiere, von denen eines von Anfang an naiv an den Marktzutritt in China herangegangen ist und sich am Ende selbst überschätzt hat. Allein die wohl im fernen Silicon Valley verfassten Einträge auf dem Unternehmensblog von Google zu China zeugen von einer erstaunlichen Unkenntnis über die Funktionsweise von Politik und Wirtschaft in China. Es war völlig klar, dass von der chinesischen Regierung in dieser Sache keinerlei Kompromissbereitschaft zu erwarten war – vor allem nicht in einer Zeit des ohnehin wachsenden Selbstbewusstseins des „Reichs der Mitte“. Dies ist aus zweierlei Sicht sehr bedauerlich, denn erstens war Google China für einige sehr interessante technische Innovationen im Bereich „Suche“ in der chinesischen Sprache verantwortlich. Vereinzelt hatte Google in China sogar Dienste, wie zum Beispiel die Musiksuche, die eines Tages vielleicht auch außerhalb Chinas interessant sein könnten. Und auch wenn zweitens Google nur rund ein Drittel des chinesischen Suchmarktes abgedeckt hat, so war die Suchmaschine eben eine Alternative für alle, die auf der Suche nach mehr Nachrichten und anderen Nachrichten, die mehr Text zwischen als auf den Zeilen haben, waren.

Vielleicht ist alles aber auch nur ein Missverständnis und in Wirklichkeit ist Google wieder einmal ein visionärer Vorreiter, dieses Mal allerdings nicht im technischen als vielmehr im ethischen Bereich. Denn Google verzichtet auf einen vermeintlichen Millionenmarkt zugunsten der moralischen Integrität. Viele Zeichen sprechen jedoch dafür, dass es sich hierbei um einen vorgeschobenen Grund handelt, der noch dazu gut für das Marketing in Zeiten der zunehmenden Angst vor der „Datenkrake“ Google ist. Die chinesischen Internetnutzer haben davon nichts. Und spätestens wenn das nächste Google-Auto gesichtet wird, wie es fotografierend durch die Straßen fährt, wird dieser Effekt auch in den westlichen Ländern verpufft sein.

P.S.: Aus dem Google-Unternehmensblogeintrag: „Finally, we would like to make clear that all these decisions have been driven and implemented by our executives in the United States, and that none of our employees in China can, or should, be held responsible for them.” – q.e.d.

(Christian Schmidkonz, 23. März 2009)